Page 6 - KUNST ABC Leseprobe
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C O M P U T ER


            Kann ein Computer Kunst produzieren? Kann er ein „technologischer
            Pinsel/Meißel“ sein, den  die Hand  eines Künstlers  führt? Welche
            Kenntnisse braucht der Künstler dazu? Er muss eine Rechenmaschine
            bedienen, die nicht im Dezimal-, sondern im Binärsystem rechnet. Im
            Dienst technologischer Rationalisierung verarbeitet er Daten, die ihr in
            einer eigenen Sprache eingegeben werden. Der Computergrafiker be-
            nutzt diese Sprache, um mit einem Plotter, dem Graphomaten, Zeich-
            nungen herzustellen. Er könnte sie mit Texten verbinden und so eine
            „Visuelle Poesie“ erzeugen. Mit einem Oszillografen kann er auf dem
            Bildschirm wechselnde Bilder herstellen. Regelmäßige geometrische
            Figuren, in Zahlen umgesetzt, gibt der Rechner an einen Skulptur Dru-
            cker oder auch an eine Fräsmaschine weiter, um eine Zeichnung, ein
            Relief oder eine entstehen zu lassen. Für eine künstlerische Irritation
            kann er einen Zufallsgenerator in den Prozess einschalten, der für Un-
            regelmäßigkeiten im Endprodukt sorgt. Der  bekannteste Computer-
            grafiker, Doktorand des Max Bense, Georg Nees, beklagt den Mangel
            an echten Zufallsquellen wie zum Beispiel dem Zerfall radioaktiver
            Elemente. 1965 zeigte er seine Grafiken, 1969 erschien seine Disserta-
            tion Generative Computergrafik. Er nutzte theoretische Eigenschaften
            der natürlichen Zahlenreihe, um Serien von Zufallsgrößen arithme-
            tisch zu erzeugen.
               Angesichts der Fülle von Experimenten, die zeitgenössische Künst-
            ler vorführen, erscheint der künstlerische Neuigkeitswert von Compu-
            terprodukten gering. Sie schöpft als Produktionsquelle von Bildern
            aus der Erbschaft der Konstruktivisten seit El Lissitzky, Piet Mondrian,
            Laszlo Moholy-Nagy, die Werke mit Zirkel und Lineal so gebaut haben,
            als folgten sie mathematischen Gleichungen. Moholy-Nagy konnte
            schon die Daten eines Bildes per Telefon an einen Freund weitergeben,
            der es malte. Die Informationsästhetik wird nicht zögern, auch Farben
            als Datenmengen zuzulassen, sodass es möglich sein wird, farbige
            zwei- oder dreidimensionale Kunstobjekte herzustellen.
               Ihr Gegner ist ein Misstrauen, eine Klage um den Verlust der
            Menschlichkeit. Stellen wir uns vor, dass in einer gemischten neuen
            Siedlung ein öffentliches Kunstwerk als Kristallisationspunkt der Kom-     Georg Nees, Computergrafik mit Siemens-System 4004, gezeichnet mit
            munikation geplant wird und alle Meinungen der Architekten und             Zuse-Graphomat (CG 50), 1964–68, Druckgrafik, 99 × 69 cm




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