Page 7 - KUNST ABC Leseprobe
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F E M I N IS T IS C H E  KU N S T


            Viele Worte, die ich hier (als Mann) verwende, sind abgenutzt, in ihren
            Bedeutungen umstritten, vierschrötig, aber ich will es dennoch versu-
            chen. Feministische Kunst ist nicht zwingend weiblich, sondern han-
            delt vom Weiblichen. Was weiblich ist, muss mühsam in unserer Ge-
            sellschaft neu definiert werden. Die feministische Künstlerin unter-
            sucht die Rollenbilder von Frauen in der hohen und niedrigen Kunst
            von Vergangenheit und Gegenwart, in Andachtsbildern wie in Fotogra-
            fien der Massenmedien. Konkret hat die Amerikanerin Hermine Freed
            sich mit Hilfe elektronischer Bildmanipulation in einem Videoband mit
            Frauengestalten in berühmten Gemälden der europäischen Kunstge-
            schichte – im wörtlichen Sinn – identifiziert. Sie wird zur Madonna Raf-
            faels und versucht, ihre Rolle als solche zu verstehen. Ulrike Rosen-
            bach untersucht den Mythos der Amazonen und seine Verbildlichung
            bis in den kommerziellen Trivialfilm. Sie schießt mit Pfeil und Bogen
            als Amazone auf Maria im Rosenhag, die unschuldige, heilige Frau (um
            1450 von Stefan Lochner gemalt). Solche Bilduntersuchungen zeigen,
            dass die Rollen, die so als Bilder sichtbar werden, nicht selbst ge-
            schaffene, den Bedürfnissen angepasste, sondern auferlegte, biologi-                Ulrike Rosenbach, Performance Medusa, Palazzo Strozzi
            sche und geistige Voraussetzungen vergewaltigende sind. Feminis-                    Florenz, 1977, Schwarz-Weiß-Fotografie
            mus hat eine kämpferische Komponente, die sich nicht nur gegen die
            bedrückende Männergesellschaft, sondern auch gegen die kapitalisti-
            sche Gesellschaft und deren Produktionsbedingungen richtet.               Stricken, Häkeln und Färben weibliche. Um diesen Erziehungszwän-
               In der Kunstgeschichte Europas spielen Frauen als Modelle wie als      gen zu entgehen, bedurften feministische Künstlerinnen eines neuen
            Anregerinnen (Musen) eine immense Rolle, Künstlerinnen mehren sich        Mediums. Es fällt auf, dass nicht nur eine große Zahl, sondern etli-
            erst seit den 1960er Jahren. Die bürgerliche Emanzipation der zweiten     che der bedeutendsten feministischen Künstlerinnen Video-Künstle-
            Hälfte des 18. Jahrhunderts umfasste zwar auch die Emanzipation von       rinnen sind, sie nehmen sich selber auf, vorführend spiegeln sie sich
            Künstlerinnen: Angelika Kauffmann und Elisabeth Vigée-Lebrun schu-        im Monitor. Feministische Kunst ist darum häufig Aufführungskunst
            fen erste Künstlerinnen-Selbstbildnisse, doch Rosa Bonheur, Paula         mit Bezügen zum Tanz, zu Gesang und Musik, Körpersprache, die ein
            Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz haben sich nur unter Schwierig-       erkämpftes Selbstgefühl neu zu artikulieren gestattet. Es liegt nahe
            keiten und Opfern durchsetzen können. Opfer bedeutet hier teilweise       anzunehmen, dass das elektronische Medium der Videosprache des-
            Selbstaufgabe, Übernahme von männlichen Rollenfunktionen und              halb zum wichtigen Sprachmittel der feministischen Künstlerinnen ge-
            Kompromittierung von Bildaussagen.                                        worden ist, weil es den kulturgeschichtlich sanktionierten Umgang mit
               Die Sprachmittel der bildenden Kunst hat eine männliche Gesell-        dem Spiegel einschließt.
            schaft über Jahrhunderte entwickelt. Malen, Hauen und Stechen sind
            gesellschaftlich männlich konnotierte Arbeiten, Knüpfen, Nähen,           Erschienen 1975




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