Page 12 - KUNST ABC Leseprobe
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            Im Juli 1937 standen Schlangen vor dem neuen bombastischen Haus
            der Deutschen Kunst in München. Über zwei Millionen Menschen be-
            suchten die Ausstellung Entartete Kunst, 550.000 Menschen die erste
            Große Deutsche Kunstausstellung. Ihnen allen bewies Adolf Hitler,
            dass es von nun an zwei Arten von Kunst geben sollte, und er machte
            deutlich, dass er eine dieser Arten erbarmungslos bekämpfen würde.
            Als sogenannte „Entartete Kunst“ galt die Kunst der Moderne von den
            Impressionisten bis zum magischen Realismus der 1920er Jahre. Diese
            Kunst war seit der Eröffnung der Neuen Abteilung der Nationalgalerie
            Berlin im Kronprinzenpalais 1919 in die Museen eingezogen. Für Hitler
            und seine Gläubigen war sie die Kunst der Weimarer Republik, der „jü-
            disch-bolschewistischen“  Großstadt  Berlin,  Modeartikel  eines  inter-
            nationalen Großkapitalismus. Sogenannte „Deutsche Kunst“ war hin-
            gegen die der Maler und Bildhauer, die in den deutschen Städten leb-
            ten, die in der gefügten Ordnung einer heimatlichen Tradition standen
            und sich von der Kunst der Moderne überrannt fühlten. Sie rief Hitler
            1937, und sie schickten15.000 Werke. Der Diktator selbst traf die Aus-
            wahl und bestimmte so den Tenor der ersten Großen Deutschen Kunst-
            ausstellung: „Ich habe es … für notwendig erachtet … für den anstän-
            digen, christlichen Durchschnitt den Weg frei zu machen.“ 900 Werke
            wurden gezeigt, nach Gattungen geordnet: Porträt, Akt, Landschaft,
            Sittenbild und so weiter. Diese Kunst belastete Hitler mit einer sozia-
            len Bedeutung und Verantwortung: Der erste große Monumentalbau
            seiner Regierung war ein Tempel der Kunst; er öffnete ihn nicht mit
              einer gewichtigen historischen Rückschau „1000 Jahre deutscher
            Kunst“, sondern mit einem Panorama der Zeitgenossen.
               Die NSDAP hatte bereits 1928 den Kampfbund für deutsche Kultur         Paul Mathias Padua, Der Führer spricht, 1939, Öl auf Holztafel, 207 × 180 cm
            gegründet, die Reichskammer der bildenden Künste als Teil der
            Reichskulturkammer unter dem Propagandaminister war für die
            Künstler zuständig. Ein Ausschluss aus dieser Reichskammer bedeu-
            tete Berufsverbot. Der Staat machte die Künstler nicht zu Beamten;
            indem er aber ihr größter Käufer wurde, machte er sie abhängig. Sie
            applaudierten ihm. Ihr Groll gegen die internationale moderne Kunst
            war ebenso groß wie ihre lang geübte Fähigkeit, sich den Ausdrucks-
            wünschen von  Auftraggebern zu fügen. Ihr Selbstverständnis hatten




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